Es fing harmlos an.
Sagen wir mal: Ich bin da unvermutet in eine „Sache“ hineingeschlittert.
Quasi unschuldig. Klar, ne?!
Es ergab sich ein Tauschgeschäft, welches man im Allgemeinen nicht in Geld aufwiegen kann. In meiner grenzenlosen Selbstlosigkeit schlug ich als „Entlohnung“ vor, man könne MEINE Tätigkeit ja ausnahmsweise in Naturalien zahlen. Man überlegte hin und her und einigte sich dann auf Schokolade.
Das kommt hier in unserem Atelier aber nur den Mädels zugute- Der Einfachheit halber rechne ich Herrn Kunterbunten auch zu den Mädels, da Frau Kunterbunten ja keine Schokolade mag. Ja, ihr lest richtig. Frau Kunterbunten macht man mit einem Käsebrot mit Gürkchen richtig glücklich. Schokolade ruft bei mir nur ein müdes Gähnen hervor. Ja…seltsam. Ich hörte das schon des öfteren.
Es kamen also mit dem Auftrag ungefähr drölf Kilo Schokolade an. So viel, dass es unser Süssigkeitenglas zu sprengen drohte, ein paar Minuten lang, dann nahm der Bestand rapide ab, quasi minütlich sank der Pegel und man hörte nur Geschmatze. Man tauschte sich aus, welche Sorten am besten schmecken würden und später sah ich auch ein mit Schokoweihnachtskugeln belegtes Brötchen hier rumstehen *örks*. Nun ja…
Jetzt kommen wir zu dem Teil der Geschichte, an dem es hier mit der Stimmung bergab ging.
Gestern bekamen wir eine grosse Lieferung diverser sperriger und schwerer Waren. Der arme DPD-Mensch quälte sich hier unser Treppenhaus rauf. Ich hatte Mitleid und schenkte ihm eine Tafel Schokolade. Das war ein schwerer Fehler, wie ich später erfahren durfte. Ab da nahm das Schicksal nämlich seinen Lauf. Zu meinen Ungunsten. Es läuft also quasi bergab.
Heute morgen erzählte ich hier im lockeren Kreise von meiner guten Tat. Erwartet habe ich, dass mich alle einen guten Menschen nennen und sich Tränchen der Rührung aus dem Augenwinkeln wischen. Aber was dann passierte…ich hab immer noch Blutdruck, wenn ich nur dran denke. Schlagartig drehten sich alle Köpfe zu mir um. „Du hast UNSERE Schokolade verschenkt?“ Naja…unser…mein…dein…wir sind ein Team, die Schokolade gehört uns allen. „Also ja?“ Ähhhhhm…die Schokolade aus dem Glas, antwortete ich vorsichtig, bin ja diplomatisch und so weiter. Noch ahnte ich nicht, in welchen Schwierigkeiten ich ein paar Minuten später stecken würde.
Sie fingen an, sich komische Blicke zuzuwerfen. Ich ahnte in dem Moment, ich habe einen Fehler gemacht. Nur welchen? Und wie schwer war der Fehler? Wie das in solchen Momenten so ist, man will Schadensbegrenzng betreiben und reitet sich mehr und mehr in die Kacke. So wie auch in diesem Fall. „Du hast dem also einfach so UNSERE Schokolade geschenkt?“ Meine inneren Alarmglocken schrillten. Um aus der Nummer halbwegs lebend raus zu kommen hielt es für angebracht, die Geschichte ein wenig auszuschmücken. Ich erzählte von einem Erschöpfungszusammenbruch und von seinen 17 Kindern. 17 hungernden Kindern. Von den langen 34 Stunden Schichten. Von Wasser und Brot. Und all den Tränen, die er an meiner Schulter weinte. Ich erzählte von den 512 Kilo schweren Paketen, die dieser schmächtige 40 Kilo DPD-Mensch nach oben schleppte. Ein Turm an Paketen. Sehr hoch. Mindestens 6 Meter. Allein. Hoch. Getragen. In den ersten Stock. Diese Masche zog nicht. Völlig herzlos starrten mich alle an. Mit leeren Blicken, wie sie auch Psychopathen haben. Ihr wisst schon…so Blicke, wo man nur das weisse sieht. Mir brach ein wenig der Schweiss aus und ich duckte mich hinter meinem Ficus Benjamini, so tief ich konnte. Ich würde jetzt erstmal garnichts mehr sagen, beschloss ich. Ich tat ganz beschäftigt und zuppelte konzentriert am Ficus Benjamini rum. Als gäbs nichts wichtigeres. Auf der Welt. Das entspannte die Lage ein wenig. Ein paar Minuten herrschte Stille, ich wähnte mich schon in Sicherheit. Aber sie waren nur still, um Anlauf zu nehmen.
Man steigerte sich zu meinem Leidwesen wieder in diese Thematik. Ich immer noch still und unauffällig hinter meinem nun fast kahlen Ficus. Fatal wurde es, als eines der Mädels bemerkte, dass ich die Tafel WEISSE Schokolade mit Erdbeer verschenkte. Davon gab es nur eine Tafel. Süssigkeitentechnisch ist das bei Liebhabern wohl sowas wie die blaue Mauritius. Äusserst selten. Und kostbar. Und scheinbar hatten wohl alle auf diese Sorte spekuliert. Ich hatte so Bildchen im Kopf, wie ich die Tafel in die Runde werfe und sie sich wie Piranhas drauf stürzen. Fast musste ich leise kichern. Traute mich aber nicht. Kein Mucks! Sagte mein Überlebensinstinkt.
Es wurde gefragt, ob ich denn der Meinung sei, der DPD-Mensch leiste mehr als sie, die hart schuftenden unterernährten Nähmädels. In einem Ton…ihr wisst schon…so „beiläufig“ und trotzdem triefend vor Gefahr. Und wie ich mir das so vorstellen würde, ein Leben ohne weisse Schokolade mit Erdbeergeschmack. Was für Fragen. Was soll ich darauf antworten. Hah! Ich habe natürlich d i r e k t erkannt, dass es sich hierbei um Fangfragen handelt. Ausserdem brüllte mir mein Überlebensinstinkt ins rechte Ohr, ich solle jetzt endlich meine Klappe halten. Hätte ich denn nicht eh genug angerichtet, als ich die WEISSE Schokolade leichtfertig verschenkte. Nun war auch noch mein Überlebensinstinkt gegen mich. Oh Gott, was hab ich nur angerichtet.
Mein Fluchtinstinkt boxte in diesem Moment meinem Überlebensinstinkt ganz fest auf die Nase und brüllte (noch im Schlag): Lauf! Lauf um dein Leben! Ich rutschte also unauffällig mit meinem Stuhl Richtung Ausgang, während ich hektisch versuchte, ein Flugticket nach Südamerika zu ergattern. Ich fürchte, sie werden mich finden. Egal, wo ich mich auf der Welt verstecken werde!
Bei Schokolade hört die Freundschaft auf, habe ich inzwischen gelernt.
Ich weiss jetzt noch nicht so genau, wie ich aus der Nummer J E M A L S wieder rauskommen soll. BETET FÜR MICH!
H.